Die Insolvenz: Absturz oder Neuanfang?
Google liefert in wenigen Sekunden weit über 9 Millionen Ergebnisse bei der Suche nach dem Stichwort „Insolvenz". Es gibt unzählige Beiträge, Literatur, Seminare und Veranstaltungen, die sich mit dem Thema „Unternehmenskrise – Insolvenz" befassen. Eine Vielzahl von Professionals wie Anwälte, Insolvenzverwalter, Berater, Sanierer, Verwerter und andere sind auf alles rund um das Insolvenzverfahren spezialisiert. Und doch erscheint es immer wieder wie eine völlig unerwartete Überraschung: „Firma XY ist insolvent". Und es klingt ein bisschen so, als wäre jemand gestorben. Warum?
Lesen Sie hier 3 Vorschläge, was und wie man das verändern kann:
Insolvenz üben
In der aktuellen Situation der Corona-Krise wurde das Gesetz zur Insolvenzanmeldung frühzeitig temporär auf stand-by gesetzt. Vorläufig bis zum 30. September 2020 muss kein Unternehmen Insolvenz anmelden. Auch dann nicht, wenn die formalen Voraussetzungen erfüllt sind. Zumindest dann nicht, wenn dies auf die Pandemie zurückzuführen ist. In der aktuellen Einschätzung erwarten Experten einen „Tsunami" der Insolvenzen, sobald diese Sonderregelung nicht mehr greift. Euler Hermes rechnet mit einer Flut von Insolvenzverfahren ab dem Herbst. Aktuell wird seitens der Politik diskutiert, die Sonderregelung zu verlängern. Ob das die Lösung ist? Werden die Gläubiger dadurch wirklich geschützt oder eher benachteiligt? Es scheint eher so „ein bisschen wie mit Vollgas auf eine Mauer zurasen". Wird man ab dem 1. Oktober wieder ganz erstaunt sein bei jeder Insolvenz, die aufpoppt? Und die Unternehmensleitungen – werden sie wissen, was sie tun müssen oder besser noch vorher getan hätten?
Katastrophen, Krisen, unvorhersehbare Ereignisse werden in vielen Unternehmen und Organisationen simuliert. Man versucht möglichst auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. In krisenanfälligen Branchen gehört das Trainieren des Krisenmanagements zum Standard.
Warum üben wir keine Insolvenz? Warum den Ablauf eines Insolvenzverfahrens nicht simulieren? Heute schon prüfen, welche Gläubiger welchen speziellen Schutz genießen? Den Lagerbestand auf Eigentumsvorbehalte analysieren? Die Vermögenswerte unter Liquidationsaspekten bewerten? Ist es, weil nicht wahr sein kann was nicht wahr sein darf? Und selbst jetzt nicht, wo die „Mauer" schon deutlich und ganz nah zu erkennen ist?
Ob die Insolvenz erfolgreich ist oder nicht; sie das Ende oder ein Anfang ist; das Unternehmen zerbricht oder weiterbesteht – das hängt auch wesentlich davon ab, wie gut man vorbereitet ist; ob notwendige Kompetenzen vorhanden sind und ob die Verantwortlichen wissen, wie mit der Krise umzugehen ist. Was kann also besser sein, als eine Insolvenz „auf dem Trockenen" zu üben?
Verantwortliche vorbereiten
Wie kann man Insolvenz vermeiden? Wie lange dauert ein Insolvenzverfahren? Wer haftet für was? Wer zahlt und wie lange Gehälter? Was bedeutet eigentlich insolvent sein? Warum, wann, wer und wo wird Insolvenz angemeldet? Was darf man und was nicht? Was ist eigentlich ein insolvenznahes Unternehmen? Welche Do's und Don'ts gelten? Welche Arten von Insolvenzen gibt es? Und was ist eine Fortführungsprognose?
Auf all diese Fragen muss die Unternehmensleitung die richtige Antwort haben. Allerdings sind Geschäftsführer und Gesellschafter i.d.R. nicht vorbereitet. Wer beschäftigt sich schon theoretisch, im Vorfeld, ohne Notwendigkeit, mit diesem Thema?! Dabei gehört eine mögliche Insolvenzanmeldung zu den gesetzlichen Pflichten eines jeden Geschäftsführers. Eine gute Ausbildung, weitreichende Erfahrung, breites Praxiswissen, Weiterbildungen, Coaches, Mentoren etc. – erfolgreiche Unternehmensführer/Manager sind für ihre Verantwortungsbereiche und ihre Aufgaben gut vorbereitet. Sie kennen ihre „Rechte und Pflichten" und wissen was sie tun. Oder
Unternehmenskrisen können immer auch zu einer Insolvenz bzw. zunächst einer insolvenznahen Situation führen. Gerade die Zeit einer drohenden Insolvenz birgt für die Unternehmensverantwortlichen erhebliche Risiken. Viele Entscheidungen sollten auch mit Blick auf Gläubiger, Vermögenssicherung und Haftungsrisiken getroffen werden. Krisen sind immer existenzbedrohend. Daher ist das Krisenmanagement immer ein Sprint; im Gegensatz zur Transformation – die ist ein Marathon. Die Chancen, eine solche Krise erfolgreich zu überstehen, steigen mit dem Wissen um die spezifischen Gegebenheiten vor und in der Insolvenz.
Betroffene unterstützen
Bei allem spezifischen Fachwissen, den besonderen Regeln und Gesetzen rund um das Thema Insolvenz und dem Management der Krise, werden „softfacts" allzu gerne verdrängt. Dabei sind sie oft entscheidender als die „hardfacts". Eine Unternehmenskrise ist immer auch eine persönliche Krisensituation – ganz besonders für den/die Verantwortlichen des Unternehmens.
Was passiert in einer solchen Situation mit ihnen? Was geht in ihnen vor? Wie fühlen sie sich? Welche persönlichen und elementaren Fragen und Zweifel quälen sie?
Manager (im Allgemeinen) sind keine Übermenschen; sind nicht frei von (Selbst-)Zweifeln, Ängsten und Emotionen. Sie brauchen auch Verständnis, Unterstützung und Hilfe – vor allem in Extremsituationen. Und das nicht nur aus "reiner Menschlichkeit" – sondern weil ihnen auch gerade in Krisen eine besonders wichtige Rolle zukommt. Auch das Verhältnis zum (potenziellen) Insolvenzverwalter ist fundamental. Der Erfolg in der Krise – auch der Erfolg im Insolvenzverfahren – hängt auch besonders vom Wissen, dem Willen und den Aktionen des Managers ab. Und ein Manager, der „nicht bei der Sache ist", kann keinen Erfolg haben.
Der nötige Bruch mit einem Tabu-Thema
Und nach wie vor ist die Insolvenz bei vielen Managern ein Tabu-Thema. Welcher „gestandene Manager" spricht schon über sowas? Oder tauscht sich aus? Informiert sich? Die Option „Insolvenz" – obwohl von der Sache her eigentlich eine echte Lösungsoption – wird weder in der Theorie noch in der Praxis tatsächlich betrachtet. Im Gegenteil: sie ist eher ein Schreckgespenst – der Untergang eines Unternehmens und natürlich mit diesem auch seines „Kapitäns".
Die Frage, ob die Insolvenz das Ende oder ein Neuanfang ist, wird im Umfeld dieser Gemengelage entschieden.
Walter Manns ist ein international erfahrener Senior Manager mit Veränderungs- und Krisenmanagementexpertise. Seine Schwerpunkte liegen in der Übernahme von Leitungsfunktionen, dem Aufbau und der Entwicklung von (internationalen) Strukturen, Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen, Krisen-/ Veränderungsmanagement sowie der Führung von Menschen in Organisationen, Teams und Projekten.