Nachhaltige Sanierung von Industrieunternehmen

Stand: 03.04.2025 - 11:00 Uhr
Autor: Dr. Werner Boysen - Unternehmensberater und Interim Manager
Eine Hand hält Holzblöcke auf, die dabei sind umzufallen
Haufe

03.04.2025 - 11:00 Uhr

Hat der Begriff der Nachhaltigkeit in unserer schnelllebigen Geschäftswelt ausgedient?

Gerade in unserer zunehmend dynamisch-komplex vernetzten Welt, insbesondere in industriellen Umfeldern mit mehrstufiger Wertschöpfung wird jeder Sanierungsversuch ohne nachhaltigen und ganzheitlich vernetzten Ansatz scheitern. Deshalb besteht zunehmender Bedarf an nachhaltigem Wirtschaften. Eine ausführliche Darstellung dieses Themas findet sich in meinem aktuellen Buch „Nachhaltige Bewältigung von Unternehmenskrisen. Soforthilfe für Industrieunternehmen und industrienahe Dienstleister“ (Haufe 2025).

Wie ist Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Sanierung von Unternehmen zu verstehen?

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird oft verkürzt mit Umweltfreundlichkeit gleichgesetzt. Dabei steht Nachhaltigkeit im Kontext der Unternehmensführung, insbesondere der Unternehmenssanierung, dafür, dass eingeleitete Maßnahmen über den Abschluss von Sanierungsprojekten hinaus wirksam sind. Nachhaltig sind Sanierungsmaßnahmen nämlich dann, wenn sie nicht nur akute Krisensymptome beseitigen, sondern vor allem dafür sorgen, dass Unternehmen auch künftige Störkräfte in geeigneter Weise abwenden können. Für ihre (Über-)Lebensfähigkeit brauchen Unternehmen „Sensoren“, aber auch eine hohe strategische und operative Flexibilität und eine gute organisationale Anpassungsfähigkeit. Kurioserweise ist gerade Beweglichkeit nötig, um Stabilität zu erreichen. Nachhaltig saniert sind Unternehmen, wenn sie diese Fähigkeiten erlernt und in ihren Kulturen und Prozessen verinnerlicht haben.

Was versteht man unter Ganzheitlichkeit?

Begriffe sollten nicht als Buzzwords eingesetzt, sondern mit Gehalt angereichert werden. Das trifft auch für den Begriff „Ganzheitlichkeit“ zu, der oft ohne Fundierung inflationär verwendet wird.

Für mich hat Ganzheitlichkeit im Zusammenhang mit Ansätzen zur Führung und insbesondere zur Sanierung von Unternehmen zwei wesentliche Komponenten:

  • Dynamisch-komplexe Systeme, wie Unternehmen es in ihrer Einbindung in ihr wirtschaftliches Umfeld sind, erfordern einen ganzheitlichen Führungsansatz, der in Entscheidungsprozessen alle wesentlichen Beziehungen so berücksichtigt, dass immer das oberste Ziel von Unternehmen, die Existenzsicherung, als Kriterium im Vordergrund steht. Das gelingt, wenn sich Unternehmen möglichst gut in ihr gesamtes wirtschaftliches Umfeld „einbetten“.
  • Des Weiteren erfordert ein ganzheitlicher Führungsansatz, Erwartungen mit den Möglichkeiten der Beteiligten auch innerhalb von Unternehmen an den Schnittstellen achtsam abzugleichen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen kann nur erfolgreich umgesetzt werden, was tatsächlich geleistet werden kann; zum anderen erlaubt nur eine nahtlose Kommunikation an den Schnittstellen einen durchgehend abgestimmten und agilen organisationalen Anpassungsprozess im Unternehmen und vermeidet teure und zeitraubende Friktionen.

Beide Aspekte beruhen auf wirksamen Feedback-Mechanismen, aus denen sich strategische und operative Anpassungen umsetzen lassen.

Woran erkenne ich, dass im Unternehmen nicht ganzheitlich und nachhaltig gedacht und gehandelt wird?

Sichere Zeichen dafür, dass im Unternehmen nicht ganzheitlich und nachhaltig gedacht und gehandelt wird, sind Spannungen entlang der Wertschöpfungskette im Unternehmen und an den Schnittstellen zu Kunden, Lieferanten und Leistungspartnern. Die Ursachen für diese Spannungen liegen in der Regel in unerfüllten, in manchen Fällen sogar unerfüllbaren Erwartungen. Wenn punktuell Mehrfacharbeit geleistet werden muss, weil Erwartungen nicht eindeutig kommuniziert und die Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Erwartungen nicht geschaffen worden sind, besteht Handlungsbedarf. Das Erwartungsmanagement ist deshalb ein ebenso zentrales Instrument für den betrieblichen Rundlauf wie das Schaffen der notwendigen Voraussetzungen, seien es Kapazitäten oder Hilfsmittel. Ganzheitlich zu arbeiten heißt, gut abgestimmt zu entscheiden und zu handeln. Taktische Vorteilsnahme passt nicht zu einem nachhaltigen Ansatz und wird es Unternehmen erschweren bis verunmöglichen, sich in ihr wirtschaftliches Umfeld einzubetten.

Wie kann ganzheitliches und nachhaltiges Denken und Handeln in Unternehmen angelegt werden?

Wirksames Feedback bedingt geeignete kulturelle Voraussetzungen, die insbesondere in Unternehmen in wirtschaftlicher Krise oft nicht erfüllt werden. Die Unternehmenskultur ist sogar oft eine der wesentlichen Ursachen, die wirtschaftliche Krisen auslösen. Gleichzeitig braucht gerade die gezielte Entwicklung der Unternehmenskultur viel Zeit, an der es in einer wirtschaftlichen Krise fehlt.

Der Knoten kann aufgelöst werden, indem Fach- und Führungskräfte in Verantwortung bezüglich Entscheidungen genommen, gleichzeitig aber auch mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet werden. Mit etwas Coaching werden sich die meisten Fach- und Führungskräfte schnell entwickeln. Vielleicht werden sie zunächst lediglich mit Vorschlägen kommen, dann aber, bei entsprechender Wertschätzung und Ermutigung, zunehmend Verantwortung übernehmen und in Feedback-Schleifen mit ihren Kollegen selbst Entscheidungen herbeiführen.

Die durch Empowerment und Feedback erzielbaren Errungenschaften greifen sowohl bei strategischen Anpassungen als auch bei operativen Optimierungen. Zügig kann ein strategischer Diskurs etabliert werden, der das Geschäftsmodell und die Ausrichtung des Unternehmens im Markt laufend prägt, also die strategische Beweglichkeit sicherstellt. Die operative Beweglichkeit wird durch das Anstreben einer möglichst hohen vertraglichen Flexibilität, der Berücksichtigung der Flexibilität bei Investitionsentscheidungen und einer flexiblen Finanzierungsstruktur ermöglicht.

Wie kann sichergestellt werden, dass in der Organisation die situativ relevanten Themen vorrangig behandelt werden?

Jeder Mensch verfügt lediglich über ein Modell der Wirklichkeit. Jeder hat sein eigenes Modell, in das nur seine eigenen Einsichten und Erfahrungen einfließen. Deshalb ist die Qualität von Entscheidungen, die von Einzelnen getroffen werden, oft nicht so gut, wie die Qualität von Entscheidungen, in die Viele eingebunden werden.

Organisationen, in denen die Feedback-Mechanismen gut funktionieren, werden in jedem Moment die wesentlichen Themen behandeln, weil durch verkettete Feedback-Vorgänge alle relevanten Informationen in Entscheidungsprozesse einfließen. Feedback ist ein Instrument, die „Intelligenz Vieler“ effektiv umzusetzen. Ergeben sich Veränderungen bezüglich des Bedarfs, der Technologien, der Gesetzeslage oder der Verfügbarkeit von Ressourcen, werden diese Themen in feedback-geregelten Unternehmen ohne zeitlichen Verzug an relativer Relevanz gewinnen.

Welche Methoden und Instrumente können die Entwicklung zum nachhaltigen Unternehmen fördern?

In meiner Management- und Beratungspraxis habe ich einige Methoden und Instrumente herauskristallisiert und eigene Instrumente entwickelt, die helfen, Unternehmen sowohl wirtschaftlicher als auch resilienter zu machen.

Zur Umsetzung ganzheitlich und nachhaltig angelegten Managements empfehle ich das Vorgehensmodell „CyberPractice“, das Schritt für Schritt durch die einzelnen Phasen führt.

Ein weiteres empfehlenswertes Instrument ist der „SystemScan“, ein web-basiertes Self-Assessment, mit dem Organisationen schnell und vergleichsweise kostengünstig erfahren können, wie resilient sie systemisch für künftige Veränderungen aufgestellt sind. SystemScan richtet die Aufmerksamkeit auf Potenziale und Risiken, die für die künftige Entwicklung von Organisationen ausschlaggebend sind. Die Ergebnisse eines SystemScan sind deshalb eine hervorragende Ergänzung der üblichen Finanzplanung.

BoardRoom, eine Simulationsplattform, mit der Unternehmen schnell in ihrer aktuellen Situation modelliert werden können, kann im Führungskreis erstaunliche Einsichten herbeiführen. In dem modellierten Unternehmen können dann Management-Entscheidungen simuliert und deren Auswirkung auf die Stabilität des Unternehmens betrachtet werden.

Der pragmatisch gestaltete OEE-Rechner kann dabei helfen, im Betrieb die richtigen Entscheidungen über Parameter zu treffen, um die Anlageneffektivität zu optimieren.

Als letztes Beispiel nenne ich einen Rechner zur Ermittlung des Unternehmenswerts auf der Basis des Ertragswertverfahrens . Anwender lernen nicht nur den Wert ihres Unternehmens kennen, sondern vor allem die wesentlichen Parameter, die den Unternehmenswert beeinflussen, und können ihr Unternehmen so gestalten, dass diese Parameter optimiert werden.

                                                                           

Fazit

In unserer von zunehmender dynamischer Komplexität geprägten Wirtschaftswelt ist ein ganzheitlich und nachhaltig angelegter Management-Ansatz besonders wichtig. Ganzheitlichkeit setzt einen umfassend angelegten Denkansatz und Entscheidungsprozess voraus, in den alle wesentlichen Aspekte, Erfahrungen, Beobachtungen und Interessen unverzögert einfließen und miteinander abgeglichen zu ausgewogenen Entscheidungen und Handlungen geführt werden. Nachhaltigkeit bedingt eine hohe emergente organisationale Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die von Feedback-Mechanismen getragen wird.

Organisationen, die ganzheitlich und nachhaltig geführt werden, erweisen sich als deutlich resilienter als andere und können sich an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen besser anpassen. Für den Weg zu nachhaltigem Management gibt es bewährte Methoden, Vorgehensmodelle und Instrumente.

 

Expertenmeinung des Autors
Dr. Werner Boysen - Unternehmensberater und Interim Manager
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Dr. Werner Boysen (www.dr-boysen-management.de) ist Unternehmensberater und Interim-Manager mit schwerpunktmäßiger Ausrichtung auf Industrieunternehmen und industrienahe Dienstleister. Er steht für Projekte zur operativen Ertragssteigerung und Stabilisierung von Unternehmen ebenso zur Verfügung wie für akute Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen und für die Begleitung von M&A-Projekten.

Dr. Boysen ist Diplom-Ingenieur Maschinenbau, hält einen M. Sc. in Electrical Engineering and Electronics und einen Executive MBA und hat in Wirtschaftswissenschaften promoviert.

Er betreibt auch die innovative virtuelle Managementberatungsanwendung www.consultingcheck.com.

Dr. Boysen ist im Bundesverband freier Berater und in der Dachgesellschaft Deutsches Interim-Management organisiert und engagiert sich außerdem in der Deutschen Gesellschaft für System Dynamics und in der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialkybernetik.

Autor: Dr. Werner Boysen - Unternehmensberater und Interim Manager